Jeder Strafverteidiger kennt die Problematik mit Polizeizeugen. Sie genießen – in aller Regel- einen Vertrauensvorschuss bei Gericht wie kaum eine andere Berufsgruppe. Strafverfahren wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte dürften eine Freispruchquote im Promillebereich haben, aber das ist nur eine grobe Schätzung von mir. Polizisten sind auch die einzigen Zeugen, die sich mit Hilfe ihrer Unterlagen auf einen Gerichtstermin vorbereiten. Einmal die Strafanzeige von damals und das Vernehmungsprotokoll gelesen und schon weiß man wieder genau, was vor 17 Monaten passiert ist. Man stelle sich vor, ein Entlastungszeuge würde bei Gericht darum bitten, mal eben noch einmal schnell seine Aussage von damals lesen zu dürfen.
Zudem wissen Polizeibeamte ziemlich genau, worauf es bei ihrer Zeugenaussage ankommt. Die Tatbestandsmerkmale des vorgeworfenen Delikts sind ihnen bekannt und die Aussagen sind oft darauf ausgerichtet, jedes Merkmal “abzuarbeiten”. Hinzu kommt, dass ein Freispruch von einigen Beamten als Niederlage empfunden wird.
Manch ein Mandant sagt seufzend, dass man doch eh keine Chance habe, wenn es zwei oder mehr Polizisten als Zeugen gibt. Nicht immer muss aber ein Polizist ein guter Zeuge sein, siehe hier.
In Ordnungswidrigkeitenverfahren hatte ich auch schon häufiger Polizeizeugen, die offen zugaben, keinerlei konkrete Erinnerung an den Vorfall zu haben. Allerdings ist auch in solchen Fällen eine Verurteilung möglich.
Eine schöne Fortbildung zu dem Thema bietet der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein am 29.11.2014 in Hamburg an, “Vernehmung von Polizeizeugen”.
“Die Fortbildungsveranstaltung beschäftigt sich mit der Frage, welche Verteidigungsmöglichkeiten es gegen belastende Aussagen von Polizeibeamt_innen als Tatzeugen _innen (Berufszeugen) gibt.”
(Quelle: www.rav.de)
Die Fortbildung wird von zwei Referenten der “Arbeitsgemeinschaft Polizeizeugen” gehalten. Ich habe die Veranstaltung bereits einmal in Bochum gehört und werde in Hamburg wohl auch wieder dabei sein. Jedenfalls kann ich sie jedem Kollegen ans Herz legen. In Bochum gab es damals auch vegane Kekse. ;-)
“Einmal die Strafanzeige von damals und das Vernehmungsprotokoll gelesen und schon weiß man wieder genau, was vor 17 Monaten passiert ist.”
Ja, das ist gut möglich. Ich habe eine DashCam im Auto und kritische Szenen bewahre ich auf. Wenn ich die heute nochmals ansehe, weiss ich auch nach 2 Jahren noch recht genau was geschehen ist. Und das ist auch der Sinn eines Gedankenprotokolls.
BTW: Kann der Zeuge nicht auch per Anwalt Akteneinsicht erlangen (auch wenn das natürlich nicht gratis ist wie für den PolB)?
“In Ordnungswidrigkeitenverfahren hatte ich auch schon häufiger Polizeizeugen, die offen zugaben, keinerlei konkrete Erinnerung an den Vorfall zu haben”
Auch das ist für mich nachvollziehbar. OWis sind Massenware, solange der Delinquent sich nicht auffällig (daneben) benimmt.
Ich stosse mich vielmehr an der Eigenschaft des “besonders geschulten und vertrauenswürdigen Zeugen”, siehe Ihre Aussage bzgl. pers. Niederlage.
Selbst wenn ein Polizist am Tag nach der Tat eine nachweislich grob falsch bemasste “Skizze” vom Tatort anfertigt ist sich manch Gericht noch nicht zu blöd zu solcher Formulierung.
P.S. vegane Kekse? Ääääääbäh! Die wären mir ein Grund, fernzubleiben. ;)
Es gab auch Sojamilch! ;-)
Wenn der Zeuge nicht auch zugleich (vermeintlich) Geschädigter ist, dann gibt es kein grundsätzliches Recht auf Akteneinsicht. Unter Umständen kann er über einen Rechtsanwalt als Zeugenbeistand Akteneinsicht erhalten.