“Liebes Amtsgericht B. in Hamburg,
heute habt Ihr mir eine Anklageschrift in der Strafsache gegen “Lieschen Müller” (Name leicht verändert) zugesandt. Ein Aktenzeichen von mir findet sich auf dem Schreiben nicht. Mal unter uns Pastorentöchtern: Lieschen hat hier 16 (!!!!) laufende Akten bei mir. 16!!!
Ein paar meiner Akten konnte ich ausschließen, da bereits in der Strafvollstreckung oder in der Berufungsinstanz. Es blieben aber noch 9 oder so übrig und dann habe ich mühsam ermittelt, in welcher Sache ich denn nun die Anklageschrift bekommen habe. Demnächst schreibe ich Euch an und schreibe nur “in Eurer Strafsache”. Hahahaha.
Eure Alexandra bzw. Miss XX”
Wir schicken diese Dinger in der Regel zurück mit folgendem Text:
Geschäftsnummer: ohne
In der aus der Anlage ersichtlichen Strafsache sende ich Ihr Schreiben ungelesen mit dem Bemerken zurück, dass es ohne mein Aktenzeichen nicht zugeordnet werden konnte.
@ Siebers: Das ist natürlich dann schade für den Mandanten, wenn er wegen der mangelhaften Kanzleiorganisation seines Verteidigers Rechtsnachteile erleidet (dh zB dadurch, dass ein Strafbefehl oder ein Bußgeldbescheid rechtskräftig wird oder dass er zur Festnahme ausgeschrieben wird).
Nun, zu den Pastorentöchtern zählt Lieschen nicht dazu, gell? :)
Und wenn Lieschen selbst kommt und zB über die Sache mit dem Kaufhausdiebstahl mit Ihnen reden will, dann schicken Sie sie auch zum Aktenzeichensuchen wieder nach Hause? Oder findet sich dann doch noch eine Stelle in Ihrem PC, an der Sie notiert haben, wo sie für Lieschen den “Kaufhausdiebstahl vom 11.11. 2011” verwalten?
Wenn Lieschen selbst kommt, weiß man normalerweise, was man bespricht. Wenn ein Gericht was schickt, dann lässt sich das eben nicht unbedingt so hübsch einordnen. Und Sie sollten mal hören, wie pampig Gerichte und Staatsanwaltschaften werden, wenn man deren Az. nicht angibt. Hier auch immer gerne genommen: Schreiben des Gerichts, unterm Datum die fürs anwaltliche Az. vorgesehene Stelle, und da steht dann: “ohne”. Super. “Ohne” gehen die bei uns allerdings nie raus, und so ganz versteckt stehen die auf unseren Schriftsätzen auch nicht, so direkt unterm Datum…
Ja, richtig. Eine zugestellte Anklageschrift. Da wird man sicherlich wirklich extrem lange rätseln müssen, um welchen Lebenssachverhalt es hier gehen könnte.
Bei manchen Anklageschriften, die man so vorgelegt bekommt, ist das in der tat nicht ganz einfach….
um hier Terry Pratchett zu zitieren: „Mehrfache Ausrufezeichen (…) sind ein sicheres Zeichen für einen kranken Geist.“ (Terry Pratchett: Eric. Gollancz, 1990, ISBN 0-575-04636-8 )
@ Katharina: Sie treffen den Nagel auf den Kopf. Danke!
Man merkt, sie haben nie auf Gerichts- oder Behördenseite gearbeitet. Es ist schlichtweg nicht organisierbar, aus der Akte manuell irgendwelche Geschäftszeichen herauszusuchen, um ein automatisiertes Schreiben damit zu schmücken.
Auch Gerichte können Anwaltsaktenzeichen erfassen und auf Standardschreiben drucken. Das schafft selbst die übliche Gerichtssoftware (zumindest in unserem LG-Bezirk). Manuell muss da nichts rausgesucht werden. Lediglich beim ersten Schreiben des Anwalts, muss das Az erfasst werden.
Naja, so schwer ist das nicht. Der Name des im Ermittlungsverfahren aufgetretenen Verteidigers wird ja auch ins System eingepflegt und die zusätzliche Eingabe des dortigen Geschäftszeichens ist kein erheblicher Aufwand für die Geschäftsstelle. Sieht die Fachverfahrenssoftware auch so vor.
Allerdings arbeiten auf den Geschäftsstellen auch nur Menschen. Und die zugrundeliegende Akte mit dem Js-Aktenzeichen zu identifizieren dürfte auch einem Anwalt nicht viel Kopfzerbrechen bereiten. Unter diesem Az. wurde ja vermutlich auch schon vorher mit der StA kommuniziert.
Alles in allem keine Rechtfertigung für die Ausrufezeichenorgie.
Auf jeden Fall geht das Amtsgericht B. in H. und insbesondere deren für Strafrecht zuständige Abteilungen nichts, aber auch gar nichts an, wie viele Akten Lieschen Müller bei welcher Rechtsanwältin auch immer hat, auch völlig unabhängig davon, was da vielleicht drin stehen mag.
Meine liebe Kammer, gehen Sie mal ganz zwanglos von einer gewissen Verfremdung der Parameter aus. Ich bin blond, aber nicht blöd.
Liebe Rechtsanwaltskammer, daran ist einiges nicht ganz richtig. Unabhängig vom konkreten Fall ist ein Fall “gerichtsbekannt”, wenn er dem zuständigen GERICHT vorliegt. Wenn dieses Gericht mehrere Abteilungen hat, ist es die Aufgabe des Gerichts, die Kommunikation zwischen den Abteilungen so zu gestalten, dass Informationen ohne Zeitverlust weiter geleitet werden. Wenn es das nicht schafft, ist das vielleicht ein Fall der Amtshaftung, aber sicherlich nicht das Problem des Anwalts.
Gibt es eigentlich einen Grund warum man nicht auch das gerichtliche Aktenzeichen verwendet? Also zumindest zusätzlich?
Das soll keine versteckte Kritik sein, sondern eine ernst gemeinte Frage. Hab Null Ahnung von Kanzleiorganisation, aber das erscheint mir als Laie irgendwie naheliegend.
“Cs 1823 / 12” tippt sich halt schlechter als “1/14”
@moep:
Gegenfrage: warum verwendet das Gericht nicht umgekehrt das von uns angegebene Az? UNS erscheint DAS naheliegender…….
und an die Anwaltsbasher: ist es nicht herrlich, dass der Anwalt immer schuld ist und immer und für alles haftet? Wenn die Damen beim Gericht zu blöd oder zu faul sind, unser Az in den PC einzutippen, ist das NATÜRLICH mangelhafte Kanzleiorganisation…beim Anwalt! Und wenn das Gericht einen Fehler macht, haftet selbstverständlich DER ANWALT. Und wenn aufgrund dieser Anwaltsfehler ein Strafbefehl rechtskräftig wird oder der Mdt zur Fahndung ausgeschrieben wird …ja, DANN kann er sich aber warm anziehen!
Warum doch gleich?
Achja. Weil man bei Gericht zu blöd oder zu faul ist, das Az des Anwaltes einzutippen.
Wenn sich der Mandant damit zufrieden gibt, dass alles nur am blöden Gericht liegt, ist ja alles gut.
WTF?
Wem dient ihr Richter eigentlich?!
Und, wichtiger: Wieviel Loyalität habt ihr gegenüber eurem Arbeitgeber (das sind wir, das Volk!!)?!
Tragt doch einfach Sorge, dass Prozesse rechtsstaatlich und mit möglichst geringem Aufwand für alle Beteiligten ablaufen können! Da ist wenig Platz für Befindlichkeiten, auch, solltet ihr Berufsethos besitzen (oder auch nur Ehre im Leib haben!): Den Delinquenten für Unfähigkeit oder Unbeliebtheit des (oft willkürlich/zufällig gewählten) Anwaltes zu bestrafen ist doch wohl unterste Schublade des sozialen Verhaltens. Rechtsbruch. Treue- und Vertrauensbruch gegenüber dem Arbeitgeber.
Dank mal drüber nach und komm wieder auf den Boden der Tatsachen und Deines Jobs!
Trotzdem schöne Weihnachten, ehrlich.